Doris Lindner. Rezension vom 10.04.2015 zu: Rebecca Köster (Hrsg.): ... bis zum Tod und darüber hinaus!
Thema und Entstehungshintergrund
Vorliegende Studie nimmt das Thema der (ambulanten) Kinderhospizarbeit in den Blick, die sich seit den 1990er Jahren zu einem wichtigen Pfeiler in der Unterstützung von erkrankten, sterbenden Kindern und Jugendlichen sowie deren Familien auch im deutschsprachigen Raum entwickelte. Dabei fokussiert die Autorin insbesondere die Rolle der Ehrenamtlichen in ihrer individuellen Trauerbewältigung sowie ihre (sozialpädagogische) Unterstützung durch die hauptamtlichen Dienste. Aus Sicht der Ehrenamtlichen werden Wirksamkeit und Defizite struktureller und personaler Rahmenbedingungen einer individuellen Trauerbewältigung aufgezeigt und evaluiert. Die Studie basiert auf einer Bachelor-Thesis, die im Studiengang „Soziale Arbeit“ der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Aachen, mit dem Titel „Sozialpädagogische Unterstützungsmöglichkeiten bei der Trauerbewältigung von Ehrenamtlichen in der ambulanten Kinderhospizarbeit“ verfasst und 2013 mit dem Ehrenpreis „Wissenschaft“ des Deutschen Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) ausgezeichnet wurde.
Autorin
Rebecca Köster war zunächst als Krankenschwester in der Kinderhospizarbeit tätig. Erste Erfahrungen in der Begleitung sterbender Kinder, Jugendlicher und deren Familien sammelte sie im stationären Kinderhospiz Balthasar (Olpe) von 1998 bis 2004. 2004 folgte der Aufbau des ersten ambulanten Kinderhospizdienstes (AKHD) in seiner Trägerschaft für den DKHV. Aus der langjährigen Begleitung und Schulung ehrenamtlicher MitarbeiterInnen resultierten eigene, für das Arbeitsfeld zugeschnittene Handwerkzeuge, wie etwa ein Schulungskonzept, eine Dokumentation oder ein Netzwerkkonzept. Zu ihren Aufgabengebieten gehörte auch die Ausbildung und Beratung hauptberuflicher KoordinatorInnen in ambulanten Kinderhospizdiensten.
Aufbau und Inhalt
Die Studie entspricht dem Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit, die im Groben aus theoretischer Einbettung und Beschreibung des Forschungsdesigns besteht und mit zentralen Erkenntnissen der Studie schließt.
In der Einleitung gibt die Autorin wichtige Anmerkungen zum Entstehungshintergrund der Arbeit, stellt die leitenden Fragen und das Erkenntnissinteresse, die Perspektive der subjektiven Einschätzung der Ehrenamtlichen zu Qualifizierung und Unterstützung durch hauptamtliche Dienste, vor. Abschließend skizziert die Autorin den Aufbau des Buches.
Das erste Kapitel („Ambulante Kinderhospizarbeit in Deutschland“) beginnt zunächst mit der Beschreibung der Entwicklung und der Arbeitsweise der (ambulanten) Kinderhospizarbeit in Deutschland. Neben der Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, die Grundlage der späteren Befragung sind, stellt die Autorin auch die Theorie der alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit nach Hans Thiersch vor bzw. skizziert das Handlungsfeld ehrenamtlicher FamilienbegleiterInnen.
In Kapitel zwei („Theoretische Bezüge zur Studie“) erfolgt im Wesentlichen die theoretische Einbettung der Studie durch relevante wissenschaftliche Theorien und Konzepte. Die Autorin beschreibt den ambulanten Kinderhospizdienst aus systemischer Perspektive in Anlehnung an das Stockwerkmodell von Claudius Henning und Uwe Knödler, schildert Prozesse der Trauer, Stress und deren Bewältigung als sozialer Vorgang durch das ‚Defizit-Modell‘ nach Margaret Stroebe und Wolfgang Stroebe, erörtert Resilienz als personale Bewältigungsstrategie in Bezugnahme auf die Forschungsfrage und gibt letztlich einen kurzen Überblick über den Forschungsstand.
Im dritten Kapitel („Untersuchung des Unterstützungsbedarfes bei der Trauerbewältigung“) wendet sich Köster der umfangreichen Forschungspraxis zu. Dargestellt werden Forschungsansatz, Zielgruppe, Erhebungs- und Auswertungsmethoden. Die Autorin beschreibt ausführlich die in der empirischen Forschung angewandte quantitative Herangehensweise mittels Fragebogen, die der vorliegenden Studie zugrunde liegt. In den weiteren Kapiteln dieser Arbeit stellt Köster die Darstellung der Stichprobenergebnisse vor und reflektiert den Forschungsprozess auf Grundlage der dargestellten theoretischen, methodologischen und methodischen Prämissen in einer Gesamtzusammenfassung und einer Diskussion der relevanten Ergebnisse.
Im abschließenden vierten Kapitel („Sozialpädagogische Unterstützungsmöglichkeiten – ein Praxistransfer“) interpretiert die Autorin die Ergebnisse ihrer Untersuchung aus Sicht der Sozialen Arbeit, um dem Leser, der Leserin tiefere Einblicke in die Möglichkeiten der sozialpädagogischen Begleitung Ehrenamtlicher in ihrer individuellen Trauerbewältigung mit Hilfe des Unterstützungsmanagements zu geben. Sie beschreibt dabei fünf Hypothesen, die exemplarisch mögliche Diagnose- und Interventionsmöglichkeiten für die systematische Praxis vor Ort aufzeigen sollen. Im Anhang befinden sich neben dem Fragebogen, der für diese Studie konzipiert wurde, auch die Anschreiben an die KoordinatorInnen sowie Ehrenamtlichen.
Diskussion
Über Trauer und Trauerbewältigung ist schon vieles geschrieben worden. Was diese Arbeit anders macht, ist nicht eine Neuauflage bisheriger Einsichten, die ohnehin für Insider hinlänglich bekannt sind; die Autorin geht einen Schritt weiter und befragt Ehrenamtliche um ihre subjektive Einschätzung nach Wirksamkeit struktureller Rahmenbedingungen für die individuelle Trauerbewältigung. Mit diesem Vorgehen gelingt es einerseits, den Ist-Stand zu evaluieren, andererseits handlungsleitende Impulse für die Weiterentwicklung Professioneller im Umgang und der Begleitung von Ehrenamtlichen in Trauerbewältigungsprozessen im Besonderen und für die Kinderhospizarbeit im Speziellen zu setzen.
Die Erkenntnisse kommen vor allem der Praxis zugute, da sie sowohl den sozialpädagogischen KoordinatorInnen in ihrer Aufgabenbewältigung Handlungssicherheit vermitteln, als auch umfassend Kompetenzen von Ehrenamtlichen fördern. In den schlussfolgernden Hypothesen befinden sich Beispiele sozialpädagogischer Unterstützungsansätze, die empirisch und wissenschaftlich als durchaus abgesichert gelten können. Wie die Autorin schreibt, sind diese aus systemischer Sicht „als eine Möglichkeitsform mit Ordnungs- und Anregungsfunktion zu verstehen“ (S. 69). Die Ergebnisse gelten zwar für einen bestimmten Arbeitsbereich, haben aber durchaus Transferwert und könnten auch für andere ambulante Einrichtungen einen Anstoß liefern, die Thematik (weiter) zu intensivieren.
Da die Studienergebnisse insgesamt eine hohe Zufriedenheit der Ehrenamtlichen mit strukturellen und personellen Angeboten bei der individuellen Trauerbewältigung zeigen, geht es hier nicht mehr um die Wichtigkeit eines Aufbaus von Strukturen, sondern um die nuancenreiche Feinarbeit auf interpersonaler und personaler Ebene.
Fazit
Insgesamt liegt mit dieser Arbeit eine gut nutzbare Studie vor, deren Wert vor allem darin liegt, die Bemühungen Ehrenamtlicher in der ambulanten Kinderhospizarbeit zu würdigen. Gleichzeitig verdeutlicht sie aber mehr denn je, dass Sterbebegleitung ohne professionelles (sozialpädagogisches) Unterstützungsmanagement nicht möglich ist. Mit dieser Selbstverständlichkeit sollte die Thematik auch in der Sozialen Arbeit rezipiert werden.
Rezensentin Dr. Doris Lindner
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