Beschreibung
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die hospiz zeitschrift Ausgabe Nr. 93
Gutes Leben – bis zuletzt
Hospiz ist eine soziale Bewegung? Patrick Schuchter schreibt: „Das stimmt sicher. Aber noch wichtiger ist: Das hat einmal gestimmt.“ Die Hospizbewegung hat erfolgreich auf die Etablierung von fachlich tragfähigen und ehrenamtlich unterstützten Versorgungsstrukturen für Schwerkranke und Sterbende hingewirkt, wie Emmi Zeulner in ihrem Statement betont. Aber die Hospizidee greift wesentlich weiter, ist viel politischer und grundsätzlicher, als dass sie sich in der Optimierung gesetzlicher Rahmenbedingungen, sicherheitsstiftender Strukturen und auskömmlicher Finanzierung erschöpft. Als eigentliche Aufgabe – die auch hinter der Hospizbewegung, als sie noch eine solche war, stand und steht – ist aber immer ein politisches Bewusstsein und eine politische Praxis aus dem Bewusstsein der Sterblichkeit heraus zu entwerfen, eine „Solidarität der Sterblichen“ zu entwickeln. Das er- innert an Elias und bedeutet, wie es Patrick Schuchter formuliert, eine Kritik der Lebensform vom Standpunkt der Endlichkeit aus zu artikulieren. Was heißt gutes Leben, was sind die Bedingungen guten Lebens, um die die Gesellschaft als Solidarität der Sterblichen ringt, auf welche gesellschaftlichen Herausforderungen der Gesellschaft reagiert hospizliches Tun und gibt Antworten? Um diese grundsätzlichen Fragen geht es in diesem Heft, das philosophische, ethische, pflegewissenschaftliche Perspektiven zusammenführt und in gewisser Weise „erdet“ in einem Beispiel praktischer Stadtpolitik und einem politischen Statement. Patrick Schuchter arbeitet in seinem Beitrag heraus, wie dringend die Hospizarbeit die Philosophie braucht und wie politische Praxis aus dem Bewusstsein der Sterblichkeit heraus entwickelt werden sollte. Bitte die Hospizarbeit nicht reduzieren auf einen Versorgungsaspekt. Das würde das Hospizliche aus dem politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang reißen. Andreas Büscher fragt nach den Referenz- punkten des guten Lebens in Pflegebeziehungen, arbeitet das zentrale Identitätsmerkmal der Pflege als Beziehungsgeschehen heraus und skizziert Wege, über die wichtige Erfahrungen und Wahrnehmungen innerhalb von Pflegebeziehungen verstanden werden können und tut dies unter Rückgriff auf das Pflegemodell von Ellen Nolan, den Six Senses, die wiederum in hohem Maße anthropologisch reflektiert sind und sich dadurch auszeichnen, dass nicht nur der auf Pflege angewiesene Mensch, sondern auch sein Gegenüber, die Pflegenden, in den Blick genommen werden. Constanze Giese fragt nach dem „guten Leben im Alter“ und verwahrt sich aus pflegewissenschaftlicher Sicht, dies allein als äußerliche Bewertung von Lebensqualität zu verstehen. Es geht um die Frage nach einem gut erlebten Alter und dies konsequent auf die Person bezogen. Im Kern ihres Beitrages steht ein Fallbeispiel aus der Corona-Pandemie, in dem dem auf Pflege angewiesenen Menschen die Selbstaktualisierung als letzte Möglichkeit ein gutes Leben zu ermöglichen und dies in Beziehung zu anderen faktisch abgesprochen wurde.
Die Hospizbewegung steht für das Leitbild des Sterbens in Verbundenheit – Beziehungsorientierung als eine zentrale Dimension guten Lebens zieht sich wie ein roter Faden durch das Heft. Thomas Klie versucht herauszuarbeiten, welche Bedeutung die sechs Dimensionen guten Lebens nach Martha Nussbaum für den hospizlichen aber auch für den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Sterben und der Gestaltung von Sorgebeziehung hat. Das Ringen um Bedingungen guten Lebens für alle Bürgerinnen und Bürger, das ist der aristotelische Kern der Sorge. Ines Schilling aus Berlin beschreibt, wie ein solches Ringen unter dem Leitbild des sorgenden Bezirks, der Caring Community, in eine sozialraumorientierte Arbeit eines Berliner Bezirkes einbezogen werden kann und dies ganz praktisch und nicht nur bezogen auf das Thema Palliative Care, sondern bezogen auf unterschiedliche vulnerable Gruppen der Stadtgesellschaft. Emmi Zeulner, Mitglied des inter- fraktionellen Arbeitskreises Hospiz im deutschen Bundestag, zeigt auf, was heute Politik unter hospizlicher Arbeit versteht: Im Wesentlichen die Verankerung verbindlicher Rechtsansprüche und die Förderung verlässlicher Infrastrukturen für die Versorgung Sterbender. Es würde im deutschen Bundestag gut anstehen, nicht nur über die von Heribert Prantl als hochproblematisch eingestufte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum „Rechtsanspruch auf assistierten Suizid“ und seine gesetzliche Umsetzung zu debattieren, sondern über die Frage, was es für die Hospizarbeit, aber auch darüber hinaus heißt, die politische Praxis aus dem Bewusstsein der Sterblichkeit heraus zu entwickeln und zu verstehen. Anlass dafür gibt es genug.