Schweiz, Sterbehilfe

Kann man Krankenhäuser und Pflegeheime zwingen, Sterbehilfe in den eigenen Räumen zuzulassen? Ja, meint die Züricher Regierung

Eine Volksinitiative unter Beteiligung von Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas und EXIT will Suizidhilfe in Strafanstalten ermöglichen. Ihr Argument: Jede Einrichtung, die eine Dienstleistung erbringe, für die in irgendeiner Form finanzielle Mittel vom Staat fließen, stehe in der Pflicht, «die Grundfreiheiten und Menschenrechte zu respektieren». Die Initiative hatte mit über 13 000 Unterschriften, die Volksinitiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Alters- und Pflegeheimen» zustande gebracht.

Der Schweizer Regierung geht der Vorschlag nun allerdings zu weit. Deshalb hat sie einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der Alters- und Pflegeheime verpflichtet, den assistierten Suizid zu erlauben.

Hintergrund

Seit Juli 2023 müssen nahezu alle Zürcher Heime den Sterbehilfeorganisationen Zutritt gewähren. Bewohnerinnen und Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen, die von einer Zürcher Gemeinde betrieben oder beauftragt sind, können damit in deren Räumlichkeiten auf eigene Kosten eine Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Private Heime ohne einen sogenannten Leistungsauftrag einer Gemeinde sind von dieser Verpflichtung ausgenommen. Für einen assistierten Suizid müssen die Bewohner bei fehlendem Angebot das Heim zum Sterben verlassen. Laut einer Umfrage des Heimverbands Curaviva lassen derzeit 75 Prozent der Zürcher Heime Sterbehilfe zu.

Für die Volksinitiative ist es einfach undenkbar, das schwerkranke Menschen kurz vor ihrem Tod noch ihr gewohntes Umfeld verlassen müssten. Damit würden die Freiheitsrechte willkürlich eingeschränkt,  zumal der assistierte Suizid in der Schweiz erlaubt ist. Laut ihrem Gesetzesänderungsvorschlag sollte die Sterbehilfe neben privaten Heimen auf weitere Institutionen ausgeweitet werden: etwa auf Spitäler einschließlich psychiatrischer Einrichtungen, auf ambulante Institutionen, und sogar in Strafanstalten soll Suizidhilfe möglich werden.

Gegenvorschlag

Nun reagierte der Zürcher Regierungsrat auf das Volksbegehren. Er lehnt dieses ab. Die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli sagte gegenüber der Neuen Züricher Zeitung „Das Volksbegehren ist mit dem Grundauftrag der meisten Institutionen schlicht nicht vereinbar.“ Der Regierungsrat begründet seine Ablehnung. So würden etwa die Krankenhäuser nicht primär Personen am Lebensende betreuen. Vielmehr gehe es dort darum, die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Ermöglichung des assistierten Suizids könne im Widerspruch zu Palliative Care, zur medizinischen Betreuung am Lebensende, stehen. Zudem könnten sich ältere Patienten unter Druck gesetzt fühlen, Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, um Angehörige oder das Gesundheitswesen nicht zu belasten.

Weit größere Risiken sieht der Regierungsrat dazu noch bei psychiatrischen Einrichtungen. Die Patienten sind tendenziell suizidgefährdeter, die Urteilsfähigkeit ist situativ sehr unterschiedlich. Gefängnisse schließlich seien ohnehin keine Orte, in denen sich überwiegend Personen am Lebensende aufhalten würden. Der Staat habe hier zudem eine besondere Schutzpflicht, die eben gerade auch Suizide verhindern solle. Für die Gesundheitsdirektorin steht fest: Die Gesetzesinitiative könne man nicht ohne Gegenvorschlag präsentieren.

Der Gegenvorschlag der Regierung lautet nunmehr:

Alle Alters- und Pflegeheime sollen dazu verpflichtet werden, Bewohnern einen assistierten Suizid zu ermöglichen. D.h. also auch die privaten Einrichtungen, die bisher frei von dieser Verpflichtung waren. Damit unterstütze man das Hauptanliegen der Volksinitiative, das das Selbstbestimmungsrecht der Heimbewohner über die Autonomie der Heime stellt, argumentiert der Regierungsrat. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Heime werde dadurch nicht unverhältnismäßig eingeschränkt: «Da diese nicht aktiv am assistierten Suizid mitwirken, sondern lediglich externen Organisationen den Zutritt ermöglichen oder ihn tolerieren müssen.»

Ein Sinneswandel. Bisher sprach sich die Gesundheitsdirektion dafür aus, dass Heime in ihren Leitbildern und auf ihrer Website klar kommunizieren, ob sie den begleiteten Suizid in ihren Räumlichkeiten erlauben oder nicht und wie sie mit diesem Thema umgehen. So könne man diesen wichtigen Punkt bereits vor Eintritt ins Heim berücksichtigen.

Gesundheitsdirektorin Rickli erkennt, dass einige private Heime keine Freude mit dem Vorschlag haben werden. Ein Eingriff in deren Wirtschafts- und Glaubensfreiheit liege zwar vor, sei aber gerechtfertigt. Die Entscheidung für den assistierten Suizid komme von den Patienten und nicht von den Institutionen. Rickli denkt dabei auch an Fälle, bei denen sich Bewohner am Ende doch noch für einen assistierten Suizid entschieden hätten.

Volksinitiative und die Sterbehilfeorganisation Exit können dem Regierungsvorschlag nicht zustimmen. Sie zählen darauf, dass „der unrechtmäßige Gegenvorschlag“ abgelehnt und die Volksinitiative unterstützt werde.

Volksinitiative und Gegenvorschlag kommen nun in den Kantonsrat, danach geht das Stimmvolk an die Urne.

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