Die Spezialausgabe 2022

Suizid:Prävention vor Assistenz

Eine Sonderausgabe der hospiz zeitschrift palliative care – Suizid:Prävention vor Assistenz ist soeben im hospiz verlag erschienen.

Wenn wir die Thematik um die Nachfolgeregelung des § 217 StGB einschließlich der von uns als Korrektiv geforderten Suizidprävention umfassend behandeln wollten, bräuchten wir eher ein Sonderbuch denn ein Sonderheft. Ich glaube aber, dass es uns mit der hier vorliegenden Ausgabe der hospiz zeitschrift, den von uns gewählten Themen sowie den Autor*innen, die wir gewinnen konnten, gelungen ist, Akzente zu setzen und deutlich zu machen, was uns in der täglichen Sorge um den Menschen bewegt.

Dass es um mehr als rechtliche oder medizinische Per­ spektiven geht, legt Andreas Lob­Hüdepohl dar: Es ist die ethische Debatte über Suizidassistenz, die zu wichtigen Differenzierungen und Sensibilisierungen führt und eine verhängnisvolle Dynamik der Normalisierung des assistier­ ten Suizids deutlich zu bremsen, wenn nicht sogar zu ver­ hindern mag. Das sei auch deshalb wichtig, weil die frei ver­ antwortliche Entscheidung zum Suizid potentiell prekär ist.

Steffen Augsberg hebt hervor, dass das Urteil des Bundesver­ fassungsgerichts kein Freibrief für ein Suizidermöglichungs­ gesetz ist. Das Bundesverfassungsgericht verliere nämlich kein Wort dazu, wie sich eine neue Regelung auf die Straf­ barkeit der Tötung auf Verlangen auswirken könnte. Gera­ de die Betonung des Autonomiegedankens verweise darauf, wie kontextsensibel dieses Konzept ist.

Christina Bethke­Meltendorf stellt eine wunderbar präg­ nante Zusammenfassung der drei aktuellen Gesetzentwür­ fe vor. Jeder Gesetzentwurf hat aus ihrer Perspektive und die der Hospizarbeit und Palliativversorgung seine eigenen Unzulänglichkeiten und Fallstricke.

In gemeinsamen Gespräch verständigen sich Anja Schnei­ der, Karin Scheer und Karin Lücking­Löw darüber, welchen

Einfluss das Urteil des BVerfG und die anstehende gesetzliche Rege­ lung der Suizidbeihilfe auf die Hospizarbeit und Palliativversorgung haben. Sie sind sich einig, dass wir uns Menschen mit Todeswunsch nicht verschließen dürfen und gleichzeitig durch empathische hos­ pizliche Begleitung in der letzten Lebensphase Perspektiven bieten müssen. Im Einzelnen sei hospizliche Haltung gefordert, im Gan­ zen mehr Öffentlichkeitsarbeit.

Nach der ethischen, rechtlichen und praktischen Einordung des Urteils und der vorliegenden Gesetzentwürfe arbeiten Benno Bolze (DHPV) und Ute Lewitzka (Deutschen Gesellschaft für Suizidprä­ vention, DGS) heraus, warum Suizidprävention vor der Suizidassis­ tenz gedacht und geregelt werden muss.

Anne­Susanna Dreßke und Birgit Weihrauch nehmen die Charta in den Blick und verweisen auf deren Handlungsempfehlungen, in denen u.a. individualisierte Hospiz­ und Palliativversorgung gefor­ dert wird. Dies könne helfen, Ängste abzubauen und wirke suizid­ präventiv.

Theo Boer berichtet aus den Niederlanden, wo nach zwanzig Jah­ ren Suizidassistenz und Tötung auf Verlangen ältere Mensch heute nicht mehr nur das Recht haben, den Antrag auf aktive Sterbehilfe zu stellen, sondern auch die Pflicht, sich zu dieser Möglichkeit zu verhalten.

Ähnlich sehen es Reimer Gronemeyer und Andreas Heller in ihrem pointierten Statement. Sie machen deutlich, dass die Gewöhnung an den Vollzug des assistierten Suizids zu einer technizistischen Mentalität des Abschaltens führt, welche die ars moriendi verschüt­ tet und die Alten, die sich als Last empfinden, dazu drängt, sich der neuen Möglichkeit der Selbstbeseitigung zu bedienen.

In Kurzbeiträgen im Praxisteil des Heftes geht Isabel Kleibrink auf das Dialogpapier des DHPV und den begleitenden intensiven Dis­ kussionsprozess ein. Ina Rohlandt beschreibt die ersten Schritte zur Positionierung bezüglich der Suizidbeihilfe in Koblenz und

Andrea Nichell­Karsch berichtet über die Grundschulung „Sterbe­ wünschen im Alltag begegnen“ der Malteser. Ulrike Geiger stellt die m.E. berechtigte Frage, ob Entscheidungen zur Suizidbeihilfe ausschließlich von fachlichen Expertisen abhängen sollten, oder ob hierbei nicht gerade die hospizlich­palliative Umsorgungskompe­ tenz gefragt ist, die seit Jahrzehnten Hilfe am Lebensende bietet. Gerda Graf spricht in diesem Zusammenhang von der gleichzeiti­ gen Aufgabe, sich mit hospizlicher Haltung um ein versöhnliches Ende zu bemühen.

Gerade diese Ermahnungen aus der Praxis, oder nennen wir sie Er­ munterungen, erinnern mich an die Wurzeln der Hospizbewegung. Wenn man so will, an deren Heilkraft, deren Kern Ciceley Saunders gelegt hat: Hospiz ist kein Ort, an dem wir uns einrichten, sondern eine Haltung, mit der wir uns begegnen. Aus dieser Haltung her­ aus und zunächst getragen vom ehrenamtlichen und bürgerschaft­ lichen Engagement einzelner Bürger*innen haben sich, wie wir alle wissen, Hospizarbeit und Palliativversorgung in Deutschland in den 1980er Jahren auf den Weg gemacht. Es waren auch damals Mutige, die den Umgang unserer Gesellschaft mit Menschen am Lebensende so nicht länger hinnehmen wollten und nach Wegen im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden suchten.

Heute scheint es wieder so weit: Die Hospizarbeit und Palliativ­ versorgung kann und muss aus meiner Sicht, und das wird in den Beiträgen dieses Heftes sehr klar, jetzt wieder Haltung zeigen und sich der Dynamik der Suizidbeihilfe entgegenstemmen!

Eine Antwort auf den Beitrag “Die Spezialausgabe 2022

  • Konrad Lappe

    Guten Tag aus dem Norden,
    ich verstehe diese Polarisierung nicht: Suizidprävention, na klar, und hospizliche Haltung ebenso.
    Aber welcher vermuteten “Dynamik der Suizidbeihilfe” muss man sich entgegenstemmen? 2021 haben drei Sterbehilfevereine bei insgesamt 350 Suiziden Vermittlung bzw. Beistand geleistet.
    Quelle : www. Tageschau.de
    Das sind ca. 0,04 aller Todesfälle(Summe ca. 900 000) und ca. 3% aller Suizide ( Summe ca. 11 000 ) in diesem Jahr. Also kein “Dammbruch” nach dem Urteil des BGH.
    Für mich persönlich möchte ich die Möglichkeit haben, mir am Lebensende Suizidassistenz unter würdigen Bedingungen zukommen zu lassen. Bei allem Guten und Segensreichen, was ich in der stat. und ambulanten hospizlichen Begleitung erfahren haben.
    Ich will meine Energie statt ins “Dagegenstemmen” lieber in die gute alltägliche hospizliche Begleitung stecken.

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