Versorgung am Lebensende aus der Angehörigenperspektive – eine qualitative Interviewstudie in niedersächsischen Landkreisen
Im Vergleich zu städtischen Zentren erscheint der Aufbau palliativer Versorgungsnetze im ländlichen Raum schwieriger. In eher ländlich geprägten Regionen ist angesichts der geringeren Bevölkerungsdichte eine wohnortnahe Infrastruktur insbesondere an spezialisierten Gesundheitseinrichtungen nur bedingt gegeben, so auch in der Palliativversorgung. Hinzu kommen der bereits vorliegende Mangel an Hausärzten im ländlichen Raum und generell längere Anfahrtswege für Beteiligte in ländlichen Netzwerkstrukturen. Angehörigen kommt daher in der häuslichen Versorgung schwer kranker Menschen im ländlichen Raum eine zentrale Rolle zu.
Ziel der Interviewstudie war es daher, die Anforderungen von Angehörigen an die Versorgung am Lebensende in zwei Landkreisen zu erheben und Aspekte herauszuarbeiten, welche aus Angehörigensicht wichtig sind, um die Versorgung am Lebensende zu optimieren.
Im Ergebnis ergaben sich vier relevante Themenfelder auf Seiten der Angehörigen:
(1) Kommunikation über Sterben und Tod
Eine offene Kommunikation der professionellen Akteur*innen mit den Patient*innen ergab sich als zentral für die Situationsbewältigung. Dabei wurde eine offene, ärztliche Kommunikation sehr anerkennend bewertet, auch wenn die „Wahrheit ein Schock“ war.
Das Verschweigen der „Wahrheit“ hatte zur Folge, dass die Betroffenen an einer bewussten Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod gehindert und der Prozess des Abschiednehmens erschwert wurde. Besonders problematisch wird erlebt, wenn durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen Hoffnung auf Heilung bzw. Kontrolle der Erkrankung aufrechterhalten wurde.
(2) Information und Befähigung
Eng verknüpft mit einer offenen Kommunikation sind hinreichende Informationen über das zu erwartende Krankheits- und Therapiegeschehen, die die Angehörigen dazu befähigen, das Krankheits- und Therapiemanagement im Alltag zu bewältigen. Hierzu zählt eine frühzeitige Aufklärung über das Krankheitsgeschehen, Therapieoptionen und den zu erwartenden, weiteren Verlauf.
Neben der Abwägung von Therapieoptionen und -zielen wurde von Angehörigenseite die Bedeutung der Aufklärung über mögliche Begleiterscheinungen der Erkrankung und Behandlung und deren Management betont, die sie dazu befähigt, die Erkrankten am Lebensende zu begleiten und ihnen bei Bedarf den Verbleib in der Häuslichkeit zu ermöglichen. Weil im Arztgespräch auch Informationen überhört werden können, ergab sich der Vorschlag schriftliche Informationen in einfacher Sprache anzubieten.
(3) Unterstützung und Entlastung der Angehörigen
Die Analyse verdeutlichte, dass Angehörige bei der Begleitung in der letzten Lebensphase häufig „an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und dessen, was sie leisten können, kommen.“ Ein Beispiel einer Ehefrau: „Der Pflegedienst kam zum Duschen, ja, aber alles andere habe ich dann alleine gewuselt Tag und Nacht. Es gab natürlich wenig Nachtruhe, […] Aber im Großen und Ganzen habe ich das alleine gewuppt. Aber das ist nicht einfach.“
Kritisch sehen Angehörige bürokratische Hürden. Langwierige und mühselige Antragsverfahren wurden nervenaufreibend und angesichts der begrenzten Lebenserwartung der Patient*innen geradezu als anachronistisch erlebt. Aufwendig waren für einige Angehörige die Antragsverfahren zur Kostenübernahme von erforderlichen Fahrten zu Gesundheitseinrichtungen, die vor allem in Landgemeinden und Kleinstädten aufgrund oft langer Anfahrtswege häufig anfielen.
(4) Kontinuität und Kooperation im Versorgungsgeschehen
Angehörige haben eine Doppelrolle als Betreuungsperson und Mitbetroffene. Die Doppelrolle wird häufig nicht erkannt und berücksichtigt. Für Angehörige kann es aus unterschiedlichen Gründen schwierig sein, frühzeitig oder proaktiv Hilfe zu suchen. Deutlich wird zugleich die Ambivalenz der Unterstützung durch Dritte, seien es Mitglieder des primären sozialen Netzes oder professionelle Instanzen. Die Einbindung von Pflege- und Palliativdiensten in die Versorgung und (über-)engagierter Bezugspersonen kann selbst zu einer Herausforderung werden. Häufige Personalwechsel und eine Vielzahl unterschiedlicher Personen werden aufgrund der dadurch bedingten Informationsverluste und des Verlusts von Privatheit im häuslichen Setting als belastend erlebt.
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