Neue Empfehlungen zur palliativen Sedierung

Menschen am Lebensende erleben oft erhebliche physische, psychische, soziale und existenzielle Belastungen. Die Palliativmedizin möchte die Menschen und ihre Angehörigen durch eine ganzheitliche Betreuung auf dem letzten Weg unterstützen und die Lebensqualität verbessern. In bestimmten Fällen kann dennoch, wenn herkömmliche therapeutische Maßnahmen versagen, eine gezielte Reduktion des Bewusstseins zur Linderung von refraktärem Leid notwendig werden – die sogenannte Palliative Sedierung (PS).

Refraktäre Symptome sind «in der Wahrnehmung für den Patienten unerträglich, und können trotz beharrlicher Bemühungen, eine geeignete Behandlung ohne Beeinträchtigung seines Bewusstsein zu finden, nicht gelindert werden».

Die Europäische Gesellschaft für Palliativmedizin (EAPC) hatte bereits 2009 Richtlinien zur Anwendung der PS veröffentlicht, die 2023 im Rahmen des Forschungsprojekts PallSed aktualisiert wurden. Parallel dazu entwickelte eine deutsche Forschungsgruppe Empfehlungen zur Sedierung in der Palliativmedizin, die ebenfalls in einem Konsensverfahren erarbeitet wurden.

In einem aktuellen Beitrag der Zeitschrift „Schmerz“ wurden die aktuellen Empfehlungen zur palliativen Sedierung zusammengefasst, Grundlagen und Kriterien zur Anwendung der PS erläutert sowie den ethischen Entscheidungsprozess und die unterschiedlichen Formen der Sedierung darzulegen.

Fallbeispiel

Das Fallbeispiel der 81-jährigen Frau S., die an einem metastasierten Mammakarzinom leidet und aufgrund ihrer schweren Symptome refraktäres Leid erfährt, illustriert die Praxis der PS. Trotz intensiver medizinischer Bemühungen, darunter Plasmapheresen und Medikamente, bleibt ihre Situation unerträglich, was sie zum Wunsch nach Sterben und zur Verweigerung von Nahrung und Flüssigkeit bewegt. Nach einem multidisziplinären Konsens entscheidet das Team, eine intermittierende PS mit Midazolam einzuleiten, die auf Wunsch der Patientin fortgeführt wird. Frau S. verstirbt schließlich zwei Tage nach Beginn der PS.

Definition der Palliativen Sedierung

PS wird als eine überwachte medikamentöse Maßnahme zur Reduktion des Bewusstseins definiert, um refraktäres Leid bei Patienten mit lebensbegrenzenden Erkrankungen zu lindern. Die Praxis hat erhebliche soziale und ethische Implikationen und erfordert eine sorgfältige Beachtung der Bedürfnisse des Patienten, seiner Angehörigen und der behandelnden Teams.

In Deutschland wird der Begriff „gezielte Sedierung“ verwendet, um auf die Absicht der gezielten Bewusstseinsreduktion hinzuweisen, die nicht als Nebenwirkung von Medikamenten oder als Teil des Sterbeprozesses, sondern als spezifische therapeutische Maßnahme erfolgt.

Indikation: Refraktäres Leid

Eine zentrale Voraussetzung für die PS ist das Vorliegen von refraktärem Leid, das durch konventionelle Therapiemethoden nicht gelindert werden kann. Häufig handelt es sich dabei um körperliche Symptome wie Delirium, Atemnot und Schmerzen. Jedoch können auch psychische und existenzielle Leiden wie Hoffnungslosigkeit und Sinnverlust eine Indikation darstellen, insbesondere wenn konventionelle Therapien keinen Erfolg zeigen.

In der Literatur wird betont, dass es oft eine Kombination von Symptomen ist, die als unerträglich empfunden wird. In bis zu 48 % der Fälle spielen psychische oder existenzielle Belastungen eine Rolle. In diesen Situationen wird empfohlen, erfahrene Palliativteams hinzuzuziehen, um die Angemessenheit einer PS zu beurteilen.

Ethische Überlegungen

Die Entscheidung zur Anwendung einer PS muss gut abgewogen werden, da sie den Verlust der Kommunikationsfähigkeit und Interaktion mit sich bringen kann, was für viele Patienten auch im fortgeschrittenen Krankheitsstadium eine wichtige Lebensqualität darstellt. Auch die Möglichkeit einer unbeabsichtigten Lebensverkürzung muss im Entscheidungsprozess thematisiert werden.

Es wird jedoch betont, dass PS bei richtiger Anwendung in der Regel keine nachteiligen Auswirkungen auf die Lebenserwartung hat. Um das ethische Dilemma zu mildern, wird die klare Unterscheidung zwischen PS und Tötung auf Verlangen hervorgehoben. Ziel der PS ist die Linderung des Leids, nicht die Beendigung des Lebens.

Patientenautonomie und informierte Einwilligung

Die Patientenautonomie spielt eine zentrale Rolle in allen Phasen des Entscheidungsprozesses zur PS. Der Patient sollte, wenn möglich, frühzeitig in die Planung einbezogen werden, um seine Präferenzen zu berücksichtigen. Wenn der Patient nicht mehr entscheidungsfähig ist, müssen Patientenverfügungen oder frühere Äußerungen als Grundlage für Entscheidungen herangezogen werden.

Ein entscheidender Aspekt der Indikation zur PS ist die gemeinsame Überprüfung der Refraktärität des Leids. Der Arzt beurteilt die medizinischen Therapiemöglichkeiten, während der Patient entscheidet, ob das Leid für ihn unerträglich ist.

Prinzip der Proportionalität

Das Prinzip der Proportionalität besagt, dass die niedrigstmögliche Medikamentendosis gewählt werden sollte, die zur Linderung des Leids erforderlich ist. Bei vielen Patienten reicht bereits eine leichte bis mäßige Sedierung aus, bei der sie noch erweckbar bleiben. In Notfällen oder bei unzureichender Linderung kann jedoch eine tiefere und kontinuierliche Sedierung notwendig sein.

Unabhängige Entscheidung über Flüssigkeitszufuhr

Die Entscheidung, ob während der PS eine künstliche Flüssigkeitszufuhr erfolgen soll, muss unabhängig von der Entscheidung zur PS getroffen werden. Diese Entscheidung sollte auf den Präferenzen des Patienten, seiner Lebensqualität sowie kulturellen und religiösen Aspekten basieren.

Lebenserwartung

Die tiefe und kontinuierliche PS sollte der terminalen Phase des Lebens vorbehalten bleiben, jedoch konnte kein Konsens darüber erzielt werden, ab wann diese Phase genau beginnt. Die intermittierende PS kann auch in früheren Phasen der Erkrankung zum Einsatz kommen.

Pharmakologischer Ansatz und Monitoring

Zur PS wird in der Regel das Benzodiazepin Midazolam in der Erstlinientherapie eingesetzt. Bei unzureichender Wirkung kann ein Neuroleptikum wie Levomepromazin hinzugefügt werden. Propofol bleibt eine Option in besonders schweren Fällen und sollte von einem erfahrenen Anästhesisten verabreicht werden.

Das Monitoring der PS sollte regelmäßig erfolgen, um die Linderung des Leids zu bewerten und unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.

Zum Weiterlesen

https://www.springermedizin.de/neue-empfehlungen-zur-palliativen-sedierung/27685164#h3-wissenschaftliche-leitung

Neue Empfehlungen zur palliativen Sedierung, verfasst von: Dr. med. Séverine Marie Surges, Holger Brunsch, Marta Przyborek, Birgit Jaspers, Lukas Radbruch

Erschienen in: Der Schmerz, unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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