die hospiz zeitschrift – Ausgabe 87

Schwerpunktthemen:
Todeswünsche

19,00 

Erscheinungsdatum: 15.09.2020
 

Beschreibung

die hospiz zeitschrift Ausgabe Nr. 87 (03/2020)

Was bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für die Palliativ- und Hospizbewegung?

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum §217 StGB vom 26. Februar 2020 ist eingeschlagen wie eine Bombe. Wenige Tage später traf Corona unser Land und die Pandemie beherrschte daraufhin all unser Denken, im Privaten wie im Beruflichen. Langsam kommen nun aber die anderen (ebenso) wichtigen Lebensthemen wieder zum Vorschein und eines der wesentlichen ist: Wie gehen wir mit der Situation nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes um?

Die Absicht des §217 StGB war, geschäftsmäßigen Anbietern der Assistenz beim Suizid einen Riegel in Deutschland vorzuschieben. Nun hat jeder in Deutschland in allen Lebenslagen, also nicht nur am Lebensende, das Recht auf Suizidbeihilfe, und der Staat darf eine solche Assistenz zum Suizid nicht im Grundsatz behindern. Die Türen stehen also sehr weit offen. Das sieht sogar das Gericht so und gibt dem Gesetzgeber den Auftrag, Regularien zu formulieren, um die Tür etwas weiter zu verschließen. Ein legislatives Schutzkonzept also. Auch wird indirekt die verfasste Ärzteschaft aufgerufen, ihre Position neu zu bedenken. Wenn Ärzt*innen sich nicht „ausreichend“ beteiligen, dann sind eben nach Ansicht des BVG Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas auch in Deutschland notwendig. Die Regularien des Gesetzgebers sollen im Herbst vorliegen, möglicherweise verzögert sich dieser Zeitplan allerdings. Auf jeden Fall wird das Thema nach Corona wieder verstärkt öffentlich diskutiert werden. Bereits jetzt haben wir in unseren Einrichtungen vermehrt die Anfrage von Patient*innen, aber auch Angehörigen, nach den Möglichkeiten zur Assistenz beim Suizid.

  • In Kanada sind die Krankenhäuser zur Umsetzung eines „medical assistance in dying“ verpflichtet worden:
    Das vor Ort behandelnde Team, das primär mit den Patient*innen die ersten Gespräche bezüglich eines möglichen Todeswunsches durchführt.
    Davon unabhängig ein „Diagnostik Team“, welches interdisziplinär und multiprofessionell eine weitergehende Diagnostik dieses Todeswunsches durchführt. Liegen psychiatrische Komorbiditäten vor? Herrschen Angst vor der Sterbesituation vor, die palliativmedizinisch begleitet werden können etc.?
    Und schließlich
    gibt es dann ein unabhängiges „Exekutionsteam“, welches tatsächlich bei den wenigen Patient*innen diese „medical assistance in dying“ durchführt.

Dies bedeutet Tötung auf Verlangen im Krankenhaus und das sehr durchdacht – schauderhaft. Mehr denn je ist es notwendig, dass wir uns hierzulande auf Verbandsebene in Deutschland mit dem Thema befassen und uns positionieren. Was ist unsere Aufgabe? Wie weit müssen wir uns an Regulierungsvorschlägen beteiligen? Was ist unsere Aufgabe im stationären und ambulanten Kontext? Als minimales Hoffnungsziel bleibt, möglichst viele Patient*innen von ihren Todeswünschen abzubringen. Aber was geschieht mit den Menschen, die sich weiterhin Assistenz beim Suizid wünschen? Verpflichtung, diese zu leisten, besteht für niemanden, für Ärzt*innen schon gar nicht.

All dies sind schwierige Fragen, die Antworten sind nicht leicht zu finden. Vielleicht können für Sie als Leser*innen die nachfolgenden Beiträge in diesem Heft etwas zur Klarheit beitragen. Lassen Sie uns jedenfalls in einen konstruktiven Austausch miteinander gehen!

Idealerweise wird eine jetzt unausweichliche und allgemeine gesellschaftliche Wertediskussion die Möglichkeiten der Palliativ- und Hospizbewegung sogar voranbringen, über die Ergebnisse des Hospiz- und Palliativgesetzes von 2015 hinaus, vielleicht sogar mit einem Hospiz- und Palliativgesetz II …