Symposium Medical. Interdisziplinäres Forum für Fortschritte in Diagnostik und Therapie - Ausgabe 9 2005
Das Leiden einer Mutter unheilbar kranker Kinder. Ein ungewöhnlich faszinierendes Buch
Von der Redaktion: Symposium Medical
Im Fachverlag des Bundesverbands der Hospize in Deutschland - der hospiz verlag aus Wuppertal - gab kürzlich der Deutsche Kinderhospizverein das Buch „Gelebte Grenzen“ heraus, das die Texte der Mutter Petra Stuttkewitz aus der „Begleitung zweier Kinder in ihrer lebensverkürzenden Erkrankung“ an eine interessierte Leserschaft überbringt.
Nach dem wir mit unserer medizinischen Fachredaktion das 88 Seiten umfassende Buch mit hohem Interesse und tiefem Mitgefühl mehrfach lasen, wollen wir es der ärztlichen Kollegenschaft als einen ungewöhnlich faszinierenden und nachdenklich machenden Erlebnis-Spiegel leidender Elternschaft zum Lesen empfehlen.
Nach mehreren Arztbesuchen wegen Entwicklungsstörungen bei Psychologe und Pädiatern stellte man in einer Kinderklinik fest, dass der Sohn wie auch die junge Tochter an der Erbkrankheit Mukopolysaccharidose (MPS) erkrankt seien. Dabei handelt es sich von der Ursache her um das gleiche fehlerhafte Gen der Eltern. Frühzeitiger Tod nach schubartig steigenden Schwerstbehinderungen sind dabei die Folge.
Die Mutter reflektierte ihr großes Leiden in einem Tagebuch mit Gedichten und Berichts-Texten, die selbst beruflich leiderfahrene Ärzte beim Lesen und Schauen tief bewegen.
Ein Nachwort von Cornelia Weber vom Deutschen Kinderhospizverein e.V. ergänzt das Werk der Mutter Petra Stuttkewitz. Ihre Botschaft: „Das Buch ist ein wirkliches Lebenszeugnis. Es gibt uns Lesern Zeugnis darüber, wie ein schweres Leben den Menschen prägt und welches Veränderungspotential dem Menschen innewohnt. Somit ist es auch ein Hoffnungszeichen.“
Diese Botschaft ergänzt liebevoll die Botschaft der leidenden Mutter: „In dieser ganzen Zeit suchte ich nach meinem Weg, mit dieser Lebenssituation klar zu kommen. Nicht daran zu zerbrechen, sondern auch wieder Lebenslust und -freude zu empfinden.“
„Gelebte Grenzen“ empfehlen wir nicht nur unseren pädiatrischen Lesern, sondern der gesamten Ärzteschaft als wichtigen literarischen Faktor.
Michael Bresgott - Westdeutsche Allgemeine Zeitung - 11/ 2005
Ein Buch, das man in einer Stunde lesen kann; und das doch ein Leben lang nachwirkt.
Vielen Büchern fehle die "Schreibnotwendigkeit". Das sagte jetzt ein Fachmann auf der Frankfurter Buchmesse. Das genaue Gegenbeispiel liefert das Werk von Petra Stuttkewitz.
Petra Stuttkewitz ist eine der Initiatorinnen des ambulanten Kinderhospizdienstes am Recklinghäuser Königswall. Sie hat jetzt ein Buch geschrieben - ein Buch, das alle Eltern lesen sollten. „Gelebte Grenzen“ lautet der Titel. Was Petra Stuttkewitz mit Hilfe von Tagebuch-Eintragungen und Gedichten schildert, ist das Leben mit zwei unheilbar erkrankten Kindern.
Roland und Sandra sind heute 21 und 15 Jahre alt. Als sie geboren wurden, galten sie zunächst als gesund. Und sie entwickelten sich wie ganz „normale“ Kinder. Die unfassbare Diagnose erhielt Petra Stuttkewitz im Falle ihres Sohnes erst, als Roland schon fast sechs Jahre alt war. Wenige Tage, nachdem ihre Tochter Sandra geboren wurde, teilten die Ärzte mit: Roland leidet an Mukopolysaccharidose (MPS) - das ist eine unheilbare Stoffwechsel-Erkrankung. Die Kinder verlieren nach und nach alle ihre bis dahin gewonnenen motorischen und geistigen Fähigkeiten. Die Eltern erleben also tagtäglich den Rückschritt hin zu einem abhängigen und hilflosen Leben.
Ein nicht formulierbares Schicksal. Eine Nachricht, die niemand verkraften kann. Petra Stuttkewitz schreibt über den Tag der Diagnose im Frühjahr 1990: „Roland wird all seine Fähigkeiten verlieren. Er wird ein mehrfach schwerstbehindertes Kind sein und dann sterben. Mein Kopf hat diese Informationen aufgenommen, mein Herz sträubte sich. Um mich herum baute sich eine Mauer auf, alles Weitere prallte davon ab. Ich habe absolut keine Erinnerungen an diesen Tag. Es war, als wäre ich für einen Tag aus dieser Welt verschwunden...“
Bei MPS handelt es sich um eine Erbkrankheit. Also wurde auch Sandra getestet. Auch ihr Befund lautete positiv. Petra Stuttkewitz: „Ein zweites Todesurteil innerhalb kurzer Zeit. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggezogen. Haltlos taumelte ich durch die Trümmer meines Lebens. Alles, was ich je über das Leben gelernt hatte, war nichtig und nutzlos.“
Beeindruckend auch die Gedichte, die Petra Stuttkewitz verfasst hat, um dieses Leben zu „verarbeiten“. So schreibt sie über ihre Tochter: „Ich bin verliebt in deine Lebendigkeit, in deine lebensbejahende Kraft und in dein ansteckendes Lachen.“ Ein Gedicht, das - wie auch manche andere Verse - ein klares Zeichen in der persönlichen Entwicklung von Petra Stuttkewitz setzt: Sie hat gelernt, nicht mehr nach dem Warum und Wozu zu fragen. „Mein Sohn Roland war und ist mein persönlicher Lehrmeister“, schreibt sie. Ihre Kinder mit all ihrer lebensbejahenden Kraft und Lebendigkeit haben ihr beigebracht, mit diesem Schicksal zu leben - und die Gedichtüberschriften belegen diese persönliche Entwicklung: vom „Todesurteil“ zur „Annahme“, von „Hoffnungslos“ zu „Wertvolles Leben“.