PDF SUIZIDASSISTENZ ?

Warum wir eine solidarische Gesellschaft brauchen!
REIMER GRONEMEYER · ANDREAS HELLER

19,90 

ISBN 9 783946 527411

Erscheinungsdatum: 01.07.2021
 

Beschreibung

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Die Debatte um Beihilfe zum Suizid hat ein neues Kapitel aufgeschlagen: Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass die Beihilfe zum Suizid nicht mehr strafbar ist. Ab sofort können wir uns den Tod ins Haus holen. Die Optionen wie wir sterben können, werden um eine neue Sterbetechnik erweitert. Hat nicht jeder das Recht, sich selbstbestimmt von Schmerz, Angst und Sinnlosigkeit zu erlösen? Inwieweit wird ein Raum geöffnet, in dem Menschen, die sich als Last empfinden, sich professionell abschalten können? Verschiebt sich in der Debatte zum Suizid  der gesellschaftliche Konsens einer Suizidpräventionsgesellschaft hin zu einer „Suizidassistenzgesellschaft“, in der der Aufstieg des autonomen Einzelwesens nun folgerichtig zu seiner Selbstbeseitigung führt? Auf welche sozialen Folgen werden wir uns einstellen, woran werden wir uns voraussehbar gewöhnen? Wie wollen Einrichtungen der Hospiz- und Palliativversorgung, die Krankenhäuser, die Alten- und Behinderten- und Jugendhilfe damit umgehen? Und vor allem: Wie finden wir den Weg in eine solidarische Gesellschaft?

Reimer Gronemeyer
ist Professor für Soziologie i. R. am Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er hat die Hospizbewegung seit vielen Jahren kritisch und freundschaftlich begleitet. Das Thema „Demenz“ steht in Theorie und Praxis im Zentrum seiner Arbeit. Er arbeitet zugleich in den Ländern des Südlichen Afrika an Fragen der Ernährung und der Lebenssituation von Kindern. Er ist Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Pallium, der in Namibia soziale Projekte realisiert.

Andreas Heller
ist Professor für Palliative Care und Organisationsethik am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz. Er beschäftigt sich u. a. mit der Hospizbewegung als sozialer Bewegung, dem Aufbau und der Entwicklung von sorgenden Gemeinden und mit der Frage nach der Bedeutung von Sterben, Tod und Trauer für das individuelle und gesellschaftliche Leben.

Thema

Das Buch befasst sich mit der Frage, was sich durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil, dass Assistenz zum Suizid nicht mehr strafbar ist, gesellschaftlich ändern wird bzw. im Vorfeld schon geändert hat. Insbesondere geht es darum, wie geplant das Sterben stattfinden wird, wobei die Autoren eine Entwicklung wahrnehmen von einer Gesellschaft, die sich der Suizidprävention verschrieben hatte hin zu einer, bei der Suizidassistenz alltäglich wird. Der Wunsch nach einer solidarischen Gesellschaft mit der selbstverständlichen Unterstützung Alter, Schwacher und Kranker ist ein wiederholtes Plädoyer.

AutorIn oder HerausgeberIn

  • Reimer Gronemeyer, emeritierter Professor für Soziologie am Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen ist seit Jahrzehnten der Hospizbewegung verbunden und ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Hospiz und Palliativverbandes.
  • Andreas Heller, Theologe und Pflegewissenschaftler, Professor für palliative Care und Organisationsethik am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Graz, ist ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Hospiz und Palliativverbandes und arbeitet seit vielen Jahren in enger Verbundenheit zu Fragen der Hospizbewegung.

Entstehungshintergrund

Das Buch entstand als Antwort auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum assistierten Suizid und soll die Auseinandersetzung mit den dadurch präsenten Fragen befördern. Die in vielen Kontexten zusammenarbeitenden Autoren treten hier in den Dialog und formulieren ihre Argumente auch in Briefen, die den Rahmen für die Texte bilden.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus vier größeren Kapiteln, die in viele kleine, manchmal nur halbseitige Unterabschnitte, quasi mit Überschriften versehenen ausformulierten Gedanken gegliedert ist. Gerahmt wird der Text gleich zweifach- zunächst durch Vorwort und Ausleitung und dann durch den Briefwechsel der beiden Autoren, der am Anfang und am Ende steht. Das Büchlein selbst hat einen essayistischen Charakter und arbeitet mit am Ende platzierten Literaturangaben und Verweisen.

Im Vorwort wird die Programmatik dieser Publikation präsentiert und das zu Erwartende und sein Duktus sichtbar. Es heißt darin, dass keine Antworten formuliert werden sollen. Und dennoch findet sich als Grundthese, die, unsere Gesellschaft sei aufgrund ihrer grundlegenden Veränderungen, ihres „Macherwahns“ und der Idee, alles selber planen und bestimmen zu wollen als „Suizidgesellschaft“ zu bezeichnen. Die so benannten Eckpunkte werden im sich anschließenden Briefwechsel, dem von Gronemeyer an Heller aufgenommen, wenn der Emeritus kritisch anmerkt, das Sterben sei vom Priester an die Medizinexperten übergegangen, oder „von der letzten Ölung zum Schmerzmanangement“ und nun in einem folgerichtigen Schritt als assistierter Suizid selbst bestellt. Andreas Heller fokussiert in seiner Antwort die Verletzlichkeit des Menschen und benutzt christliche Bilder wie das des barmherzigen Samariters oder des leidenden Jesu am Kreuz. Diesem sehr persönlichen Einstieg folgt unter dem Titel „der assistierte Suizid im Raum der Dienstleistungsgesellschaft“ eine Einordnung einer solchen Handlung in andere Dienstleistungsangebote mit dem kritischen Verweis darauf, sich doch nur an den Bedürfnissen des Gegenübers als Kunden orientieren zu wollen.

Das sich anschließende Kapitel mit der Überschrift „Momentaufnahmen zum assistierten Suizid“ beschreibt und mahnt zugleich in kleinen Absätzen. Die Überschriften sind programmatisch. So lauten sie z.B. „klirrende Einsamkeit“, „Wellness-Freitod“ oder „Lebensende als Planungsaufgabe“. Als Hauptteil kann der Absatz „Reflexionen zum assistierten Suizid“ gelten, der den größten Umfang und die meisten, wieder in kleinen Absätzen als Überschriften formulierten Thesen enthält. Begonnen wird mit einem Nachdenken über den Umgang mit dem Sterben und Tod. Dabei streifen Heller und Gronemeyer in einem kurzen Rekurs die Genese der Hospizarbeit, das Sterben während der Coronapandemie und die dabei benutzte Kriegsmetaphorik sowie die Kranken- und Behindertenmordaktion in der Zeit des Nationalsozialismus. Wie über Leid und Tod gesprochen wird und das Zuhören wichtiger ist als Statements und Postulate zu formulieren, wird im Weiteren dargelegt. Auch in den folgenden Absätzen geht es nicht ausschließlich um den assistierten Suizid, sondern um eine Beschreibung der Gesellschaft als eine, die den Tod ausblendet, die die Beziehung zu den Verstorbenen aufgrund fehlender oder nicht mehr praktizierter Rituale verliere, und das Sterben Tod standardisiere in eigens dafür entwickelten Organisationen, so auch in Hospizen und den Tod gerne verlegt haben möchte. Dabei werde der assistierte Suizid als Konsequenz des „technogenen Milieus“ gesehen. „Die Kunst des Sterbens wird in den organisierten Medizid umgewandelt,“ formulieren die Autoren und fordern somit eine Rückkehr zu früheren Weisheiten ein. In den letzten drei Unterabschnitten wird der Bogen zu der Idee und den Bemühungen geschlagen, eine solidarische Gesellschaft lebendig werden zu lassen. Dazu wird die Care Ethik als theoretische Grundlage genutzt, Visionen entwickelt, aber auch sogleich Zweifel an dem gesellschaftlichen Willen einer Umsetzung geäußert.

In der Ausleitung wird der Diskurs in 9 Thesen und zwei Anmerkungen, die lauten „wir sehen, die Gefahr“ und „wir hegen Hoffnung“ nochmals begonnen. Die Thesen, die am Ostersonntag und Ostermontag verfasst wurden, nehmen die Osterbotschaft, die aktuelle Pandemiesituation und die Sorge, dass Sterben nach Checklisten vonstatten ginge, nochmals auf.

Diskussion

Mit diesem Buch wird der Diskurs zum assistierten Suizid in großer Breite vorgenommen. Die Autoren richten den Blick auch auf andere Entwicklungen, wie die der Veränderung der Sterbekultur, der Individualisierung der Gesellschaft und der Idee der Planbarkeit. Heller und Gronemeyer kritisieren die Möglichkeit des assistierten Suizids als Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft. Ohne Begriffe von Schuld, Sünde oder Moral zu nutzen, schwingen diese stets mit, begonnen mit der Idee, dass ein würdiges Schweigen zu dem Thema vielleicht die richtige Reaktion darstelle. Hier wäre es für die Leser:innen hilfreich gewesen eine argumentative Struktur – auch im Aufbau und Inhaltsverzeichnis – statt eines essayistischen Charakters zu finden. Die in der Einleitung angekündigte Ratlosigkeit bleibt, die im Untertitel formulierte Frage warum eine solidarische Gesellschaft brauchen, bleibt offen.

Fazit

Diese Veröffentlichung weitet den Diskurs zum assistierten Suizid auf gesellschaftliche Fragen und prognostiziert eine problematische Entwicklung. Sie zeigt mit philosophischen, historischen und theologischen Anmerkungen die zunehmende Verwerfung unserer Gesellschaft. Manches bleibt dabei vage und unsortiert und regt an, eine eigene Haltung zu entwickeln und Fragen zu stellen. Das Verdienst dieses Büchleins ist, weitere Blickweisen zum Sterben und Tod hinzugelegt zu haben.


Rezension von
Dr. rer. soc. Gudrun Silberzahn-Jandt
Referentin Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V., freiberufliche Kulturwissenschaftlerin Esslingen, Lehrbeauftragte an Hochschulen und Universitäten

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