Kerstin Kremeike. Rezension vom 10.01.2013 zu: Michaela Fink: Von der Initiative zur Institution.
Thema
Betrachtet werden die gesellschaftlichen Ursprünge, Anfänge und gegenwärtigen Entwicklungen der modernen Hospizbewegung in Deutschland. Die mit der Institutionalisierung der Bewegung einhergehenden Herausforderungen werden dabei fokussiert.
Autorin
Michaela Fink ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt sie sich mit der Hospizbewegung, HIV/ AIDS und AIDS-Waisen im Südlichen Afrika. Von 2006 bis 2012 etablierte und koordinierte sie den Ambulanten Kinderhospizdienst in Gießen.
Entstehungshintergrund
Das Buch basiert auf Ergebnissen des Forschungsprojekts HospizGeschichteZukunft (2006 – 2008). Zielsetzung des Projekts war die Aufzeichnung der Geschichte der Hospizbewegung anhand von mehr als 70 Interviews mit PionierInnen, GründerInnen und MitinitiatorInnen in Deutschland nach dem Ansatz der Oral History. Vorliegendes Buch stellt die überarbeitete Dissertationsschrift der Autorin dar. Darin fand anhand ausgewählter Interviews aus dem Forschungsprojekt eine kritische Aufarbeitung der Institutionalisierungsgeschichte der Hospizbewegung sowie ihrer gegenwärtigen Entwicklung und Konzepte statt. Die Arbeit soll damit als Grundlage für eine kritische Reflexion über zukünftige Chancen und Risiken der Hospizbewegung dienen.
Aufbau und Inhalt
Einleitung
Einleitend wird dargelegt, dass im Rahmen der vorliegenden Arbeit Argumente aus den ausgewählten Interviews und der Fachliteratur zur Hospizbewegung mit der kritischen Soziologie – im Besonderen von Jean Baudrillard, Michel Foucault und Ivan Illich – in Verbindung gesetzt werden. Dies soll die Analyse des Spannungsfeldes zwischen persönlicher, lebendiger Begegnung und standardisierter Dienstleistung vor dem Hintergrund der Institutionalisierungsprozesse ermöglichen. Die Ausgangssituation wird in diesem Abschnitt ebenso beschrieben wie empirische Grundlagen, das methodische Vorgehen und theoretische Bezüge. Außerdem werden zentrale Begriffe wie Institution, Hospizbewegung und Macht sowie Illichs Kategorien Biologische Degradierung, Radikale Monopolisierung, Überprogrammierung und Polarisierung bestimmt. Das Kapitel schließt mit der Nennung der zentralen Fragestellungen, Zielen und dem Aufbau der Arbeit sowie einem Abriss der Forschungslandschaft zum Themenfeld.
Hauptteil: Die moderne Hospizbewegung in Deutschland
Gesellschaftliche Ursprünge. Am Beginn des Hauptteils steht eine historische Analyse traditioneller Umgangsweisen mit Sterben und Tod. Damit soll eine Idee des „sozialen Reichtums“ auf diesem Gebiet begreifbar werden, der uns laut der Autorin abhanden gekommen ist. Bräuche und Rituale dienten der Sorge für den Toten und für die Überlebenden, spendeten Trost und boten Gemeinschaft im Verlust. In der heutigen säkularisierten Gesellschaft sind Jenseitsvorstellungen und Trauer individualisiert und privat, wodurch ein soziales Vakuum entsteht, das die Hospizbewegung zu beantworten versucht. Zur Medikalisierung wird angeführt, dass der Fortschritt der Medizin mit immer weniger Aufmerksamkeit für die Patienten einhergeht, denen nicht kurativ geholfen werden kann. Auch die Folgen und Nebenwirkungen der sich weiter entwickelnden Krebstherapie werden in einem Exkurs betrachtet, ebenso wie auf die für die Hospizbewegung v.a. in den 1980err und 1990er Jahren prägenden Themen Euthanasie und Intensivmedizin.
Die Anfänge. Exemplarisch werden verschiedene Anfangsgeschichten in Deutschland dargestellt. Darunter fallen Schlüsselerlebnisse im beruflichen Alltag der PionierInnen, z.B. das Miterleben des Todes von stationären Patienten in Badezimmern oder Abstellräumen und ihrer schnellen Entsorgung, ebenso wie prägende Erfahrungen mit dem Sterben im privaten Umfeld. Die Mischung aus zivilgesellschaftlicher Initiative und professionellem Engagement wird dabei von jeher als kennzeichnend für die Hospizbewegung beschrieben. Anstöße, z.B. durch international wirksame Personen, werden benannt, der Beginn der Hospizbewegung in der DDR und später in den neuen Bundesländern beschrieben und die Geschichte der ersten Palliativstation in Köln wird nachgezeichnet. Ebenfalls finden in diesem Abschnitt das erste Aids-Hospiz und die Entstehung der Kinderhospizbewegung Beachtung.
Die Institutionalisierung. Hier findet im Kontext der Ökonomisierung, Professionalisierung und Medikalisierung eine kritische Reflektion der Entwicklungen statt. Beginnend mit den 1990er Jahren, welche als Jahrzehnt der Etablierung der Hospizbewegung gelten werden die Gründung von Organisationen, die gesetzliche Verankerung und finanzielle Förderung durch die Kranken- und Pflegekassen ebenso als Aspekte der Institutionalisierung angeführt wie die Professionalisierrung, Standardisierung und Akademisierung.
Die Frage „Wieviel Institutionalisierung verträgt die Hospizbewegung?“ wird mittels sozialwissenschaftlicher Institutionstheorien behandelt. Der darauf folgende Blick in die Zukunft findet anhand der Befürchtungen und Hoffnungen der interviewten PionierInnen statt, die mit langen Zitaten belegt werden. Die Verkehrung der ursprünglichen Ziele als Gefahr institutionalisierter Hilfe wird maßgeblich anhand von Ausführung zu den Ideen Ivan Illichs dargestellt, um anschließend die Bedeutung für die Hospizbewegung zu diskutieren. Kritisch werden vor diesem Hintergrund auch die ambulante Palliativversorgung, das von Michel Foucault geprägte Konzept der Bio-Macht im Zusammenhang mit Sterben und der Hospizbewegung sowie das Thema Qualitätsmanagement in der Hospizarbeit betrachtet.
„Die Hospizidee: Haltung oder Dienstleistungskonzept?“ ist die Überschrift des letzen Abschnitts dieses Kapitels, in der an die Hospizbewegung appelliert wird, Bereitschaft zur Offenlegung und Bearbeitung bestehender Gefährdungen und Widersprüche zu zeigen. Nur so könne sie dem Anspruch gerecht werden, den sterbenden Menschen ins Zentrum ihres sorgenden Handelns zu stellen und zu verhindern, das dieser zum „Rohstoff“ im sozialen Produktionsprozess wird.
Die Hospizbewegung im Dienst einer neuen ars morendi – Kontrapunkte zur technokratischen Vereinnahmung des Sterbens
Die existentielle Situation des Sterbens wird hier als Gegenpol zu einem technokratisch vereinnahmten und geglätteten Sterben dargestellt. So kommt etwa die Frage auf, ob die zunehmende Sedierung des Sterbens nicht vor allem den Lebenden diene und es wird in Frage gestellt, dass die Vorbeugung von Sinn- und Hoffnungslosigkeit am Lebensende ärztliche Aufgaben seien. Dem gegenüber wird eine Hospizbewegung propagiert, die sich den existentiellen und individuellen Fragen am Lebensende stellt und ihnen Raum verschafft.
Schlussbetrachtungen
Hier werden „hoffnungsvolle Zukunftsvisionen“ angeführt: Ein postprofessioneller Ethos, die Bewahrung der Position der Unsicherheit und der Mut zur Utopie anstatt technischer Lösungen.
Diskussion
Der Blickwinkel der kritischen Soziologie auf die Entwicklung der Hospizbewegung ermöglicht eine fundierte Auseinandersetzung mit den Gefahren und Möglichkeiten für die Zukunft der Hospizarbeit in Deutschland. Zahlreiche Zitate von Sozialwissenschaftlern zum Themenfeld veranschaulichen die Diskussion auch für Nicht-Soziologen und anhand der Interviewausschnitte der PionierInnen wird immer wieder der Alltagsbezug hergestellt. Das Buch bleibt nah an den Quellen und verbindet Theorie und Praxis zu einem Werk mit sehr lesenswerten Gedankenanstößen für verschiedenste Interessierte.
Fazit
Gut zu lesendes und bereicherndes Buch zur Entwicklung in der Hospizarbeit sowie den Besonderheiten der Institutionalisierung von Bewegungen im Allgemeinen, das anhand vieler Belege aus der Theorie und Zitate von PionierInnen der Hospizbewegung ein anschauliches Bild des Spannungsfeldes aktueller Tendenzen aufzeigt.
Rezensentin
Dr. rer. medic. Kerstin Kremeike
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum für Palliativmedizin Universitätsklinikum Köln (AöR)
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